Meilen

Studium

8. Semester, ETH Zürich

Realisierung

Julian Holz

Professur

An Fonteyne

Jahr

2020

Ein HUB für Meilen

Die Kirchgemeinden in der Schweiz stehen durch den fortlaufenden Rückgang der Mitgliederzahlen vor grossen Herausforderungen. Wenn sie noch eine relevante Bedeutung für die Gesellschaft haben wollen, müssen sich sich den veränderten Ansprüchen der Gesellschaft an-passen. Die Kirchgemeinde in Meilen hat sich vor drei Jahren dazu entschlossen, sich mit einem Erweiterungsbau fit zu machen für die kommenden Jahrzehnte. Um herauszufinden, ob ihre Strategie auch für andere Gemeinden eine Möglichkeit darstellt, attraktiv zu bleiben, machte ich mich auf den Weg nach Meilen um den dort neu entstan-denen Ort genauer anzuschauen.

Als ich vom Bahnhof die Kirchgasse herunter spazierte, hörte ich schon von weitem Kinder, die vor Freude jauchzten und Erwachse-ne die sich austauschten. Wenn man von der Gasse auf die Weise einbiegt, sticht einem der Neubau aus beigem Kalkstein der evange-lischen Kirchgemeinde Meilen sofort ins Auge. Rechts von der Wie-se führt eine lange Rampe entlang der alten Friedhofsmauer auf das Dach des Erweiterungsbaus. In der Öffnung der Mauer auf dem Dach kann man einige grünen Pflanzen entdecken. An dem Tag hüpften auf der Wiese spielende Kinder herum, auf Bänken sassen Erwachsene, die angeregte Diskussionen führten, einige spazierten herum, andere führten ihren Hund aus.

Der Kirchgemeindepräsident begrüsste mich auf dem neuen Platz zwi-schen der Kirche und dem Neubau. Er erzählte mir, dass sie sich bei der Erarbeitung des Neubaus an der dreifachen Präsenz des Chris-tentums in der Gesellschaft orientierten. Nach einem Artikel von This Gundlach, der eine Zukunftsvision für die Kirchen entfaltet, haben sie sich dafür entschieden. Gundlach schreibt, dass das Christentum in drei Formen präsent ist: als individuelles Christentum in den einzel-nen Christen, als öffentliches Christentum in der Gesellschaft und als Kirche mit ihren Aktivitäten. Drei Aspekte spielen bei den Veränderun-gen eine grosse Rolle: Die zahlenden Mitglieder gehören zum inneren Kreis der Kirche und sind wichtiger denn je. Die Kirche wird ein breite-res Themenfeld ansprechen und die begrenzten Ressourcen zwingen zu konsequentem vorbildlichen Handeln. Zudem wird es nicht mehr wie heute in jedem Dorf eine Kirche geben, sondern es werden sich einzelne Kirchenzentren herausbilden. Die wichtigste Frage dabei ist, was hat noch Lagerfeuer-Potenzial? Also, was bringt die Leute noch zusammen?

Die Kirchgemeinde in Meilen kann sich zum Beispiel nebst der Piz-za des Restaurants Napulé, dem Wein und der besonderen Lage der Kirche und des Kirchgemeindehauses am See schon länger zu den Lagerfeuern in Meilen zählen. Mit ihrem vielfältigen Programm, den diversen Gottesdiensten, aber auch kulturellen Anlässen wie zum Bei-spiel unterschiedlichen Konzerten, lockt die Kirchgemeinde auch Leu-te von weiter her in die Kirche nach Meilen.

Der Kirchgemeindepräsident ist stolz darauf, dass mit der Erweiterung der bestehende Standort gestärkt und das Angebot der Kirchgemein-de erweitert werden konnte. Der Neubau steht in einer teils neuen, teils angepassten Parkanlage, die nicht nur die Wiese bei der Kirche miteinbezieht, sondern auch die Parkanlage am See. Seit der Eröff-nung vor einem Jahr tummeln sich bei schönem Wetter regelmässig dutzende von Leuten auf den Grünflächen, erzählte der Präsident. Und tatsächlich sassen einige Jugendliche in Gruppen beisammen und ge-nossen den freien Nachmittag. Sie kommen regelmässig hierher. Es sei mega gemütlich, mit dem Fahrrad gut erreichbar und das Baden ist erst noch kostenlos. Eine ältere Dame fügte dem hinzu, dass sie es schätzt, dass man dem mangelnden Grünraum in Meilen etwas ent-gegen gesetzt habe.

Daneben stachen mir besondere Skulpturen aus Stein ins Auge, einige Sportlerinnen nutzten sie für ihre Übungen. Der Kirchgemeindepräsi-dent erklärte mir, dass sie nebst dem geistlichen und intellektuellen Angebot auch was für den Körper anbieten wollten. Dafür haben sie diese Sportskulpturen wie Statuen oder Obelisken in einem Land-schaftsgarten aufgestellt. Diese orientieren sich an den Geräten des Vita Parcours und fungieren quasi als Object Trouvé, die sich gut in den Park integrieren und offen sind für Interpretationen. Eine Sport-lerin erzählte, dass sie es schätzt, auf ihrem Nachhauseweg noch schnell einen Zwischenstopp einlegen zu können, um sich körperlich zu betätigen. Zudem sei der Kaffee in dem regelmässig von Freiwil-ligen geführten Café im Saal sehr gut. Davon liess ich mich gleich selbst überzeugen und sprach mit einer Frau anfangs 40. Ihre Kin-der sind alle schulpflichtig, so dass sie genügend Zeit hat, um immer wieder im Café vorbeizuschauen. Sie berichtete auch von den Koch- und Philosophieabenden, an denen eine Gruppe von Leuten in unter-schiedlicher Zusammensetzung kocht und anschliessend ein Thema in gemütlicher Atmosphäre bespricht. Und seit neustem gibt es auch Abende der verschiedenen Kulturen, bei denen Leute Gerichte aus ihrer Heimat kochen und zusammen teilen.

Ein junger Vater kam mit seiner Tochter dazu und fragte, ob er eine Schüssel haben könne. Seit einem halben Jahr hilft er mit den Garten auf dem Dach zu hüten und zu pflegen. Sie seien eine Gruppe von jungen Familien und älteren Menschen, die gerne ihr eigenes Gemüse anpflanzen, das schmecke gleich doppelt so gut und in der Gemein-schaft mache es auch noch mehr Spass. Zudem kann man sich für wenig Geld an dem bereitgestellten Gemüse bedienen, so kann jeder davon profitieren. Ich trank meinen Kaffee aus und die Decke weckte mein Interesse. Die besondere Konstruktion aus trapezartigen Holz-balken, die eine Kassettendecke bilden, erstaunte mich.

Anschliessend verdaute ich den deftigen Schokoladenkuchen bei der Fortsetzung meines Rundgangs über die Anlage. Zu Beginn lief ich entlang der Säulen im kreuzgangartigen Hinterhof des Gebäudes zum alten Weg, der zum Friedhof führte. Verschiedene Stühle und einzelne freistehende Bänke bieten Sitzmöglichkeiten. Beim Eingang zur An-lage entdeckte ich einen ganz besonderen Brunnen. Das Becken er-innerte mich an eine umgekehrte Kuppel die aus vier Steinstücken auf einem Steinsockel liegt. Hätte ich ein Buch über Steinarten dabei gehabt, hätte mir das sicher verraten, dass es sich dabei um den Ca-lanca Gneis handelt.

Nach einem erfrischenden Schluck vom dem kalten Wasser vom Brunnen, begann ich den Aufstieg auf das Dach. Doch ganz im Ge-gensatz zu meinen Erwartungen konnte ich ganz gemächlich entlang der Mauer in die Höhe steigen. Springende Kinder überholten mich und versuchten die vielen Säulen zu zählen, die die Mauer struktu-rieren. Oben angekommen, tauchte ich in eine andere Welt ein. Dut-zende unterschiedliche Pflanzen, Blumen, Obst und Gemüse bilden einen hübschen Garten und auch hier plätschert ein kleiner Brunnen und verbreitet eine angenehm frische Atmosphäre. Was sich vorhin mehr nach einem sozialen Genossenschaftsgarten angehört hatte, entpuppte sich als idyllischer Garten Eden. Und wie in der Malerei vom Oberreihnischen Meister entdeckte ich auch den Steintisch, um den sich ein paar Leute versammelt hatten. Der umfriedete Paradies-garten entfaltet eine Atmosphäre der Lebensfreude und Entspannung, die sich von der Aussenwelt unterscheidet. Die geschwungenen For-men des Gartens sowie die Sträucher und Blumen unterstreichen das. Von der Öffnung aus schweifte mein Blick über den See und die gegenüberliegende Hügelkette. Langsam senkte sich die Sonne am Horizont. Plötzlich wurde ich von einem hupenden Auto aus meinen Gedanken gerissen. Zum Glück, sonst hätte ich noch den Termin mit dem Mesmer vergessen. Dieses Mal nahm ich die Treppe. Wie eine Himmelsleiter windet sie sich ins Unendliche in die Höhe. So stieg ich also quasi vom Himmel herab auf Mutter Erde, wo mich der Mesmer schon erwartete.

Auch der Mesmer schätzt die neu geschaffene Situation. Nun muss er nicht mehr von dem entfernt gelegenen Schopf Material wie zum Beispiel Tribünen für Konzerte in der Kirche herbei transportieren, sondern hat sie gleich nebenan bei der Hand. Ausserdem sei alles sehr flexibel. Da jeder Raum separat betreten werden kann, können mehrere Veranstaltungen parallel stattfinden und auch er kann sich ungestört bewegen. Am Abend entspannte ich mich noch bei einer Lesung mit musikalischer Begleitung. Tags darauf fand darin wieder Unterricht statt und so bietet der Saal für ganz unterschiedliche Nut-zungen Raum.

Der Tag in Meilen mit ganz unterschiedlichen Gesprächen zeigte, dass es dort ganz gut zu funktionieren scheint. Die Kirchgemeinde hat dank ihren finanziellen Möglichkeiten auch gute Voraussetzungen, dass sie die kommenden Jahren gut überstehen kann und durch ihr vielfältiges Angebot eine noch wichtigere Institution in Meilen werden kann, die die Menschen zusammen bringt. Es ist aber auch klar, die Architek-tur alleine hilft nicht, dass die Gemeinden überleben. Es braucht tat-kräftige Personen, die mit Freude daran arbeiten ein gutes Angebot auf die Beine zu stellen und offen sind auch Neues auszuprobieren. Die Architektur kann aber dazu beitragen. Schöne Räumlichkeiten und ein attraktiver Aussenraum bieten eine wichtige Grundvoraussetzung, so dass die Leute auch gerne immer wieder vorbeikommen. Die ver-schiedenen Räumlichkeiten und Orte machen Lust, die neue Anlage zu entdecken und so findet man vielleicht auch immer wieder etwas Neues. Der in Stein gebaute Neubau zeugt davon, dass er gebaut wurde um zu bleiben. So leicht wird man ihn nicht mehr weg bekom-men. Da hofft man, dass nicht nur die Anlage, sondern auch die Kirch-gemeinde noch einige Jahre überdauern wird.